Realwirtschaftlich überschaubare Konsequenzen, finanzpolitisch schwerwiegender
Der anfängliche Schock an den internationalen Kapitalmärkten hat sich in den ersten Stunden nach Öffnung der Europäischen Börsen schon wieder etwas gelegt. Zu Recht, denn zunächst ändert sich fundamental überhaupt nichts. Die Briten haben in den anstehenden Austrittverhandlungen keine starke Verhandlungsposition und werden ganz bestimmt die eine oder andere unverdauliche Kröte schlucken müssen. Außerdem ist das Vereinigte Königreich wirtschaftlich recht unbedeutend, denn es erwirtschaftet ca. 2 Prozent des Welt-Bruttosozialproduktes. Anders sieht es mit der Bedeutung als wichtiger Finanzplatz aus. Die aktuellen Börsenturbulenzen erklären sich hauptsächlich aus der herausgehobenen Position der britischen Hauptstadt am Weltfinanzmarkt.
Die Situation ist historisch ohne Beispiel
An den Aktienmärkten wird es als Reaktion auf einzelne Ereignisse immer wieder zu erhöhten Kursschwankungen kommen. In solchen Zeiten ist es hilfreich, sich bewusst zu machen, dass:
- Kursschwankungen bei langfristig orientierten Kapitalanlagen nichts Ungewöhnliches sind
- man sollte sich bei Anlageentscheidungen nicht von kurzzeitigen Stimmungen beeinflussen lassen
- als langfristig orientierter Anleger wird man in der Regel für das mit Aktienanlagen verbundene Risiko belohnt
- Kurskorrekturen am Markt bringen häufig attraktive Anlagechancen mit sich
- eine aktive Anlagestrategie kann helfen, Phasen erhöhter Volatilität gut zu überstehen oder Einstiegschancen richtig zu nutzen
Folgen für die britische Wirtschaft
Die Bank of England hat bereits verkündet, dass das Brexit-Votum das Wirtschaftswachstum
Großbritanniens vermutlich aus folgenden Gründen kurzzeitig belasten wird:
- verstärkte Unsicherheiten und nachlassendes Vertrauen dämpfen den privaten
Konsum und die Anlageinvestitionen - steigende Risikoprämien an den britischen Anleihemärkten und möglicherweise
höhere Kreditaufnahmekosten - vermehrte Unsicherheiten, Risikoscheu und möglicherweise höhere Finanzierungskosten
im britischen Finanzsektor
Folgen für den britischen Finanzmarkt
Kurzzeitig sollten Anleger mit Folgendem rechnen:
- erschüttertem Anlegervertrauen und erhöhten Kursschwankungen am britischen Markt
- eine weitere Abschwächung des Pfund Sterling zusätzlich zu dem Wertverlust gegenüber dem Euro
- Abwärtsdruck auf britische Aktien, zumal auf Titel aus dem Finanzsektor und aus Branchen, die
besonders stark auf EU-Migranten angewiesen sind (z.B. Bau, Gastronomie), sowie nachlassendem Druck auf britische Unternehmen, die einen Großteil ihres Gewinns in Fremdwährung erwirtschaften - eventuell moderatem Aufwärtsdruck auf Renditen britischer Staatsanleihen angesichts
verstärkter Unsicherheiten, höherer Risikoprämien und der Aussicht auf einen Inflationsanstieg
wegen des schwächeren Pfunds - Aufwärtsdruck auf Renditen britischer Unternehmensanleihen aufgrund der höheren
Unsicherheit und der kurzzeitig getrübten Aussichten – wie bei Aktien sind auch hier die Risiken für den Finanzsektor am größten - möglicherweise ein leichter Rückgang der Immobilienpreise in Großbritannien angesichts des
Vertrauensverlusts bei Käufern und eines möglichen Anstiegs der Arbeitslosigkeit
Folgen für Europa
Moderate direkte Auswirkungen auf die Wirtschaft:
- Europäische Unternehmen mit umfangreichen Aktivitäten und Vermögenswerten in Großbritannien werden ihre Investitionen möglicherweise drosseln, bis Klarheit über die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU herrscht
- daneben kann die Ungewissheit auch den Handel der EU mit Großbritannien belasten
- sollten die Auswirkungen für die Wirtschaft als erheblich eingestuft werden, dürfte die EZB ihre Anleihekäufe ausweiten, um so die Gefahr unerwartet negativer Folgen für die Wirtschaft zu verringern
- kurzfristig könnte der Druck auf Aktien zunehmen, vor allem auf solche von europäischen
Unternehmen mit bedeutenden Einnahmen, Handelsbeziehungen und Anlagen in Großbritannien,
zumal wenn der Euro steigt - an den Anleihemärkten könnten die Renditen der als sicher geltenden Anlagen sinken und die
Renditen bzw. Spreads von Unternehmensanleihen steigen; wie bei Aktien wäre der Finanzsektor am stärksten betroffen - auf längere Sicht könnte das Brexit-Votum den Euroskeptikern Auftrieb geben und Bedenken über das EU-Projekt im Allgemeinen schüren; das würde den Druck gerade auf Vermögenswerte in den Peripherieländern erhöhen
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